Burnout: ein Schlagwort, das viele nicht mehr hören können. Die Krankheit ist für viele nicht greifbar, der Prozess verläuft schleichend. Deswegen ist es entscheidend, Warnsignale ernst zu nehmen. Wer häufig gereizt reagiert, antriebslos oder übermüdet ist, seine Freunde vernachlässigt und keine Lust auf Nähe oder Sex verspürt, ist womöglich gefährdet und sollte seine Situation überdenken. Denn wer früh genug reagiert, hat gute Chancen, das drohende Burnout abzuwenden.   

Von Andreas Diethelm

Ob Grafikerin, Bankmanager, Medizinstudentin oder Altenpfleger: Burnout betrifft längst alle Berufsschichten – und auch alle Altersklassen. In der heutigen 24-Stunden-Gesellschaft, in der die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zusehends verwischen, wird es immer schwieriger, abzuschalten. Zeit- und Leistungsdruck, drohender Stellenverlust, fehlender Freiraum im Job, Überforderung und Mobbing begünstigen nebst anderen Faktoren ein Burnout. Nicht umsonst hat die Weltgesundheitsorganisation WHO beruflichen Stress zu «einer der grössten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts» erklärt.

Stolperstein: der eigene Leistungsanspruch
Doch nicht immer ist es der Druck von aussen. Oft setzt der eigene Leistungsanspruch die Negativspirale in Gang. Besonders Menschen, die ein hohes Pflichtbewusstsein haben, perfektionistisch veranlagt oder überehrgeizig sind, rutschen leichter in ein Burnout. Sie sind es, die nicht Nein sagen oder nicht delegieren können und sich oft mehr Verantwortung aufbürden, als sie zu tragen vermögen. Dies kann die zu ehrgeizige 27-jährige Grafikerin sein, die Überstunde um Überstunde schiebt, der gerade beförderte 41-jährige IT-Manager, der beweisen will, dass er es drauf hat. Oder es kann die alleinerziehende Mutter sein, die Teilzeit arbeitet.

Die Wahrnehmung von Stress hängt zudem stark von der Persönlichkeit ab. Was für den einen eine Herausforderung darstellt, ist für den anderen purer Leistungsdruck. Nicht selten setzen diese Menschen im Job nicht nur sich selbst unter Druck, sondern auch das gesamte Team. Die Folgen: Das Vertrauen geht verloren, die Kollegen ziehen sich zurück. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Betroffene Mühe haben, sich einzugestehen, dass etwas falsch läuft. Scham und Stolz halten sie davon ab, dem Chef zu sagen, dass sie unter der Berufssituation leiden – sei es aus Angst vor der Reaktion oder dem Gesichtsverlust unter Kollegen. Die Folgen sind auch hier fatal: Die Betroffenen isolieren sich immer mehr – die Abwärtsspirale ist im vollen Gang.

Bei ersten Symptomen: radikales Umdenken
Burnout ist ein schleichender Prozess, vergleichbar mit einem Schiff, dessen Ladung gut ausbalanciert auch höheren Wellengang oder gar mal einen Sturm meistert. Wird das Schiff aber ständig mit Extra-Ladung falsch belastet, gerät es in Schieflage. Ohne Abladen oder Umschichten des Ballasts kann schon die nächste und nicht mal grosse Welle das Schiff zum Kentern bringen. Um rechtzeitig Gegensteuer geben zu können, muss dieser Ballast frühzeitig erkannt und reduziert werden. Nehmen Sie folgende «Symptome» ernst:

  • Vernachlässigung des sozialen Netzwerks
  • Libido lässt nach
  • Keine Zeit für Hobbys
  • Schlechter, unruhiger Schlaf
  • Keine ausreichende Bewegung
  • Gereiztheit, schnelles Aus-der-Haut-fahren
  • Zynismus, Angst vor der Zukunft, Angstattacken
  • Nervosität, Vergesslichkeit

Machen sich solche Symptome bemerkbar, ist ein grundlegendes Umdenken gefordert – je früher, desto besser. Denn spätestens ab diesem Zeitpunkt reichen das Wellness-Weekend oder die zwei Wochen Ferien nicht mehr aus, um sich zu erholen. Umdenken bedeutet jedoch nicht, sich ein halbes Jahr in ein Kloster zurückzuziehen oder auf eine Weltreise zu gehen. Oft genügt es, die belastenden Verhaltensweisen zu erkennen und aufzubrechen. Auf diese Weise gestaltet sich der Einschnitt weniger radikal. Wer tatsächlich an einem Burnout erkrankt, braucht häufig Monate, wenn nicht Jahre, um sich zu erholen und wieder zu sich selbst zu finden.

Eigenverantwortung: der Schlüssel zur eigenen Mitte
Ehrlich sein mit sich selbst und aktiv Hilfe holen sind die ersten Schritte zur Genesung. Dabei sind die Familie, Freunde oder der Partner nicht immer die optimalen Ansprechpartner. Sei es, weil sie emotional involviert sind oder etwa weil sich die Kommunikation in der Partnerschaft in dieser Phase ohnehin schon schwierig gestaltet. Ein Coaching durch einen neutralen Berater, mit einem Blick von aussen, kann darum entscheidende Unterstützung und Impulse geben, um aus einem Burnout herauszufinden oder im Idealfall ein Ausbrennen schon vorher zu verhindern. Das Ziel: Lösungen Schritt für Schritt erarbeiten, um Muster zu ändern, die krank machen.

Oft ist es das Gefühl der Fremdbestimmung, das massgeblich zu einem Burnout beiträgt. Das Zauberwort heisst deshalb: Eigenverantwortung. Ein wichtiger Faktor, der die Basis eines jeden Coachings bildet. Eigenverantwortung bedeutet zum einen, Probleme an- und auszusprechen. Und zum anderen zu lernen, (wieder) sorgsam mit den eigenen Ressourcen umzugehen und ein gesundes Gleichgewicht zwischen Arbeit, Stresstoleranz und Lebenssinn zu entwickeln. Unabhängig davon, was andere erwarten oder sagen mögen. Dabei sind folgende Fragen essenziell: Was brauche ich wirklich? Wo will ich hin? Wie kann ich mehr delegieren? Und so kann eine erste Lösung sein, sich bewusst und konsequent Zeit für sich selbst zu reservieren und sich etwas Gutes zu tun. Sich persönlichen Raum zu schaffen, welcher der Anfang zu einem neuen und vor allem ausgeglichenen Leben sein kann. Wie der Weg dahin und in das neue Leben ausschaut, bestimmen allein Sie.